Otsukaresama desu

05.07.2019

Mein Wecker klingelt seit ein paar Tagen nicht mehr um 04:40 zur Morgenschicht und die Café-Schürze habe ich abgegeben. Mein letzter Arbeitstag im veganen Café des Haneda Flughafens liegt hinter mir und ich muss mich erstmal wieder an die neugewonnene Freiheit gewöhnen. So sehr ich mir während mancher Schichten das Ende meiner Arbeitszeit herbeigewünscht habe, so komisch ist es jetzt nicht mehr jeden Morgen durch die noch stille Stadt zu laufen, die Schürze umzubinden und für 8 Stunden „Irasshaimase!“ (Willkommen!) zu rufen. All die Handgriffe, Gespräche mit Kollegen und japanischen Phrasen sind in den letzten Monaten so normal geworden, dass sie mir tatsächlich ein bisschen fehlen. Auch wenn nicht immer alles gut war. Wie diese Tage an denen man vergeblich auf Kunden wartet, Tage an denen der einzige Lichtblick ist, sich mit den Kollegen zusammen aufzuregen – über generell alles. Jetzt im Rückblick muss ich aber vor allem an die Tage denken, an denen ich mit einem Lächeln nach Schichtende in den Zug gestiegen bin, nach lustigen Mittagspausen mit Kollegen und interessanten Gesprächen mit Kunden. Wahrscheinlich ist es besser, diese Tage im Gedächtnis zu behalten. Aber tatsächlich bin ich froh, über beide Erfahrungen – die guten, wie auch die schlechten Tage. Allem voran bin ich natürlich dankbar, dass ich durch das Café meinen Aufenthalt hier überhaupt finanzieren konnte. Aber abgesehen davon bin ich froh über die Erfahrung, im japanischen Kundendienst gearbeitet zu haben. So klischeehaft das klingt, sieht man die Welt auf einmal tatsächlich ein bisschen anders, wenn man auch die andere Seite (der Theke, höhö) kennt.

So weiß ich jetzt dass….

… es tatsächlich gar nicht so schwer ist, einen Nebenjob in Japan zu finden (nicht zu verwechseln mit einer richtigen Vollzeitstelle, da sieht die Sache etwas anders aus). Ich war mir zeitweise ziemlich sicher, dass ich mit meinem schlechten Japanisch, meinem nicht-muttersprachlichen Englisch und der fehlenden Berufserfahrung ganz bestimmt Nichts finden würde. Letztendlich musste ich nur eine einzige Bewerbung schreiben. Das mag auch ein bisschen Glück gewesen sein. Generell sollte man sich vor einem Japanaufenthalt aber auch nicht zu viele Gedanken machen. Schon allein die Lebensmittel/Restaurantbranche ist notorisch unterbesetzt. Das gilt wohl für Japan wie für den Rest der Welt. Wenn man sich nicht zu schade dafür ist Teller abzuwaschen und Sandwiches zu schmieren, findet man einen Job. Auch ohne Japanisch. Ganz bestimmt. Das vorher zu wissen, hätte mir einige schlaflose Nächte erspart…

 

… das mit dem Japanischen schon irgendwie wird – wenn man denn muss. Während ich bei meiner Zeit im Goethe-Institut viel für meine persönliche beruflich angestrebte Zukunft gelernt habe, habe ich gleichzeitig wohl eher japanisch verlernt als dazu gelernt. Wenn alle um dich herum perfekt Deutsch sprechen, ist die Hemmschwelle es mit schlechtem Japanisch zu versuchen einfach viel zu hoch. Im Café dagegen habe ich innerhalb von drei Monaten wahrscheinlich mehr Japanisch gelernt als in den 3 Jahren zuvor zusammen genommen. Schlicht und ergreifend weil ich musste. Nachdem ich die ersten auswendig gelernten Sätze wie „Die Tablettrückgabestation ist da drüben“ hervorgestottert hatte, war der anfängliche Bann plötzlich gebrochen. Mittlerweile macht es mir nichts mehr aus, dass meine Sätze wahrscheinlich krumm und schief sind, solange meine Kollegen verstehen was ich meine und ich mit den Kunden zusammen lachen kann. Ich werde noch sehr lange nicht an meinem persönlichen Japanisch-Ziel angekommen sein. Aber dass ich mittlerweile Witzchen mit Kunden reißen kann, hätte ich vor ein paar Monaten noch nicht geglaubt. Für mich wohl eines der besten Resultate dieses Nebenjobs.

 

… auch vegane Cafés nicht einfach nur die Welt retten wollen. Meine Gründe, mich genau für dieses Café zu bewerben waren wohl ziemlich naiv: Das Café ist vegan, das hieß im Umkehrschluss für mich, dass die Menschen dort alle wahnsinnig großherzige, tolle Leute sein müssten, die mit ihrem Café ein Stückchen zu einer besseren Welt beitragen wollen. Also bewarb ich mich. Die Erkenntnis, dass auch vegane Cafés an erster Stelle Profit machen wollen, hat mich anfangs ziemlich unsanft von meiner Wolke geholt. Noch immer fällt es mir schwer zu akzeptieren was alles getan werden muss, um Dinge möglichst preiswert zu produzieren und dann mit großem Gewinn zu verkaufen. Aber so funktioniert es nun mal, ob ich das nun gut finde oder nicht. Nebenjob mit Lebensweisheit inklusive also.

 

… ein einfaches Lächeln den Tag eines Angestellten sehr viel besser machen kann. Ich weiß, es klingt wahnsinnig kitschig…. aber nach 15 Kunden, die einem das Geld auf den Tresen werfen ohne einen anzusehen und dann schon wieder verschwunden sind, bevor man seinen letzten Satz zu Ende gesagt hat, kann einem ein Kunde mit ernstgemeintem Lächeln und Augenkontakt den gesamten Tag retten. In Japan ist der Kunde sprichwörtlich nicht König, sondern Gott. Dass Dienstleistungen mit absoluter Höflichkeit und Demut ausgeführt werden, ist hier selbstverständlich, das gilt für japanische Angestellte genauso wie für ausländische. So selbstverständlich, dass viele Kunden leider vergessen haben, dass hinter der glatten höflichen Maske ein echter Mensch steckt, der mitunter um 04:40 aufgestanden ist, um 8 Stunden lang für weniger als den deutschen Mindestlohn die Teller fremder Menschen abzuwaschen. Dass diese negativ auffallenden Kunden zum Großteil ergraute Businessmänner im teuren Anzug sind, macht die Sache nicht besser. Deswegen: Danke, lieber Opi der mit mir sein Volkshochschul-Englisch üben wollte. Danke, Backpackerin die ihre Reisepläne mit mir geteilt hat. Danke, du, der mich einfach wahrgenommen hat – als Mensch. Den Mitarbeitern im Supermarkt lächle ich seitdem immer zu.

 

… man als Kunde auf eine Art gewertschätzt wird, die man mitunter gar nicht mitbekommt. Wenn man den ganzen Tag mit guten und weniger guten Kunden zu tun hat, aber allen die gleichen, höflichen Phrasen entgegenschleudern muss, entwickelt man als Angestellter ganz eigene Wege um seinem Wohlwollen oder Missmut Ausdruck zu verleihen. In „meinem“ veganen Café erschien beispielsweise bei jedem Bezahlvorgang am Bildschirm ein kurzer Fragebogen zu Geschlecht, Alter und Herkunft des Kunden, den wir Angestellten heimlich nach bestem Wissen ausfüllen mussten. Unter Kollegen war es ein Running-Gag, dass nervige Kunde als kleiner Gegenschlag automatisch der Altersgruppe „50+“ zugeordnet wurden, ganz egal wie alt sie in Wirklichkeit waren. Gute Kunden hingegen bekamen eine Servierte extra auf’s Tablett oder ein paar Eiswürfel weniger im Glas. Mittlerweile frage ich mich, welche Sonderbehandlung ich wohl in Restaurants und Supermärkten bekomme, ohne es zu merken? ;)

 

… Angestellte zusammenhalten. Egal, wer sie sind oder wo sie arbeiten. In diesem Café bin ich auf Menschen getroffen, mit denen ich im normalen Leben wahrscheinlich nie etwas zu tun gehabt hätte. So weiß ich mittlerweile mehr über den Alltag in Argentinien, über die Träume von Rennauto-Mechanikern und über die ungewöhnlichen Hobbies stiller Japanerinnen. Ich weiß, dass Angestellte im Normalfall füreinander einspringen, auch wenn sie eigentlich gerade Mittagspause haben und dass es manchmal nichts besseres gibt, als sich über den letzten verrückten Kunden mit den Kollegen auszutauschen. Umso schöner ist es, dass diese Kameradschaft auch Arbeitsstellenübergreifend funktioniert. Es ist selbstverständlich, dass das Nachbarrestaurant uns mit Wechselgeld aushilft oder der türkische Chef des Dönerladens gegenüber messerwetzend Witze mit unseren Angestellten macht. In Japan gibt es eine feste Floskel, die man unter Mitarbeitern zueinander sagt. „Otsukaresama desu“, heißt so viel wie „Du hast hart gearbeitet“ und wird für gewöhnlich am Ende des Arbeitstages als gegenseitige Wertschätzung ausgetauscht. Besonders schön ist aber auch, wenn man in der Mittagspause im Nachbarladen Essen kauft und dort mit „Otsukaresama desu“ begrüßt wird, oder im internen Mitarbeiteraufzug so vom Reinigungspersonal empfangen wird. Schade, dass diese Floskel auf Deutsch übersetzt so sonderbar klingt. Diesen Satz – und die damit zusammenhängenden Kollegen - werde ich wirklich vermissen. 


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