Frustration

14.05.2019

Ich hatte heute Training, war auf dem Weg nach Hause, völlig k.o. Ich stieg in meine letzte Bahn, nur noch zwei Stationen, ich dachte nur noch an mein Abendessen und an mein Bett. Natürlich musste ich stehen, abends ist der Zug immer so voll mit all den Schulkindern, Geschäftsmännern, Rentnerinnen und wer sonst noch alles in meinem Tokyoter Stadtteil mit Vorort-Charakter wohnt. Ich bemerkte das Schulmädchen, das vor mit saß. Völlig zusammengekauert in ihrer Ecke des Sitzes, die nackten Beine im obligatorischen karierten Schuluniform-Rock an die Wand des Sitzes gepresst. Daneben ein dicker, älterer Geschöftsmann der breitbeinig in seinem Sitz hing. Innerlich musste ich den Kopf schütteln, typischer Fall von "Manspreading" dachte ich mir, wie kann denn dem Typen nicht auffallen, dass er so viel Platz einnimmt?! Bis plötzlich Bewegung in die Ganze Sache kam. Das dicke Anzugbein bewegte sich unaufhaltsam Richtung nacktes Mädchenbein und berührte es. Könnte noch Zufall sein,... dann wieder und wieder. Definitiv kein Zufall. Das Mädchen starrte wie versteinert auf ihren Handybildschirm und schrumpfte in ihrem Sitz immer kleiner, als könnte sie das Plastik verschlucken. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Ich war in Japan. Dem Land in dem ich mich so sicher fühle, wie sonst nirgendwo. Dem Land in dem ich meine Tasche unbeaufsichtigt herumliegen lasse und mich beim allein Nachhausegehen nie auch nur ein zweites Mal umschaue. In meiner Bahn, in der doch einfach nur jeden Tag die normalen Menschen fahren, die in so einem sticknormalen Vorort wohnen. Natürlich hab ich sie alle gelesen, die Geschichten von grapschenden Alten und von Fotos unter Schuluniformröcke. Natürlich wusste ich dass es das gibt. Aber jetzt hatte ich es gesehen. In meiner ganz normalen Bahn. Völlig entgeistert starrte ich den Alten an, er erwiderte meinen Blick. Ich schaute auf das Bein des Mädchens, schüttelte den Kopf und guckte so böse, wie ich nur irgendwie konnte. Der Anzugträger starrte mit völliger Gelassenheit zurück, in den kleinen Augen keinerlei Scham. Er spreizte die Beine noch ein Stückchen weiter und streckte mit völliger Selbstverständlichkeit ganz Nebenbei noch huuuups ... die Hand nach dem Mädchenbein aus. Und ich... machte gar nichts. Sagte nichts. Sah nur völlig versteinert zu. Unfähig, den Mund zu öffnen. 

Meine Station kam. Ich stieg aus. Die Türen schlossen sich und ich hätte am Liebsten gebrüllt vor Wut und Frustration und Enttäuschung über mich selbst. Ich fühlte - und fühle - mich so klein und stumm und machtlos und feige und bescheuert. Den gesamten Heimweg vom Bahnhof hallte ein einziger Satz durch meinen Kopf "Yamete - Stop touching her, CHIKAN! - Grapscher!" Den Satz den ich hätte sagen sollen. Schreien sollen. Und den ich nicht gesagt habe. Ich habe immer noch die kleinen schmierigen Augen im Gedächtnis, die mich anstarren und genießen, bei diesem Regelbruch noch eine stille Zuschauerin zu haben. Eigentlich sehe ich mich selbst als selbstbestimmten, starken Menschen. Dass ich diesem Vollidioten noch diese Genugtuung gegeben habe ist mir unbegreiflich. 

 

Eigentlich schreibe ich diesen Text nur für mich selbst. Denn ich will nie wieder so machtlos sein. Verdammte Scheiße!


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