Auf dem Dach Japans

28.07.2019

Heute vor zwei Wochen war ich endlich dort, da wo ich schon so viele Male hinwollte. Es war mein allerletztes Wochenende in Japan, dem Land das für 7 Monate mein Zuhause war. Ich stand auf dem Gipfel des Fuji, auf dem Dach Japans und überblickte dieses Land, das für mich so wunderbar und schwierig gleichzeitig ist. Ich hatte mir das im Vorhinein als besonders erhebenden Moment vorgestellt – in den Sonnenaufgang blickend, über den japanischen Wolken, die letzten 7 Monate hinter mir, das neue Deutschlandleben vor mir, fast schon Realität gewordene Klischee-Metapher.

Aber so erhebend war es nicht. Im Internet sieht man nur die Fotos von glücklichen Menschen im strahlenden Sonnenaufgang. Aber ich stand da, im Dauerregen kalt und so durchnässt, die Grenze zwischen Regen und Schweiß war schon seit Stunden nicht mehr erkennbar. Sonnenaufgang war bei dieser Dauerregenwand natürlich auch nicht zu sehen, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich wahrscheinlich nicht in Minischritten mit zu wenig Sauerstoff bis nach oben geschleppt. Aber naiv hatte ich doch auf den Sonnenaufgang gehofft und er war ja wohl auch irgendwie da, irgendwo hinter der Regenwand, nur sehen konnten wir ihn nicht. Der einzige Klischeemoment, der wahrscheinlich einfach kommen musste, war der Heulkrampf, der mich auf den letzten Metern überkam. Abschiedsschmerz war zu Genüge vorhanden und die Erschöpfung und Erleichterung tat ihr Übriges.

Und jetzt, zwei Wochen später, sitze ich in meiner alten Heimat, den Fuji-Husten als noch andauerndes Souvenir und einer Regenjacke im alten Kinderzimmer, die nach nassem Tier riecht. Jeden Tag werde ich gefragt, wie es war in Japan und wie es mir denn jetzt geht, in der alten Heimat, ob ich mich nicht freuen würde, alle alten Gesichter wieder zu sehen. Gut, sage ich meistens, unfähig die letzten 7 Monate in zufriedenstellenden Smalltalk zusammenzufassen. Es hat mir gut gefallen, Japan ist ein sehr schönes Land, du solltest auch mal hinfahren. Und ja, es geht mir gut, so ganz generell, es ist schön Freunde und Familie zu sehen, Brezeln zu essen und richtigen Käse, der nach Käse schmeckt. Und diese Antwort ist nicht gelogen. Es tut so verdammt gut, einfach problemlos alles verstehen und lesen zu können, nicht ständig das Gefühl zu haben in diverse Fettnäpfchen zu treten und Freunde nicht nur übers Telefon zu hören. Es gibt viel zu tun in den ersten Wochen hier, Zahnarzttermin, Versicherung und Wohnungssuche für die nächsten zwei Jahre. Beschäftigt sein ist ein gutes Gefühl, ich fahre mit meinem alten Auto von A nach B, hake meine To-Do-Liste ab und alles sieht noch immer so aus wie vor 7 Monaten. Solange ich beschäftigt bin, ist die Schuhschachtelwohnung, der Lieblingsjapaner und all die Erinnerungen der letzten 7 Monate sicher verstaut in der hintersten Ecke meines Kopfes. Ich schiebe alles so tief nach hinten, dass ich nicht bei jedem „Und, wie hat es dir in Japan gefallen?“ in einen Schrei-Heulkrampf ausbrechen muss, dass ich einfach sagen kann „Ja, es hat mir gut gefallen“ und dabei lächeln kann. Nur wenn der Lieblingsjapaner mir müde durch den Handybildschirm zulächelt wird es zunehmend schwieriger, das Schrei-Heulkrampf-Monster in Schach zu halten.

Denn die Wahrheit ist, so schön das mit den Brezeln und dem Wiedersehen hier auch alles ist, so gerne wäre ich jetzt gerade einfach wieder dort, auf dem Dach Japans. Ich wäre so gerne in genau diesem Moment, zitternd und durchnässt und erschöpft und heulend, aber den ebenso nassen Lieblingsjapaner direkt neben mir. Was würde ich geben dafür, jetzt nochmal mit nassen Handschuhen die Lieblingsjapanerhand zu halten und zusammen in den nicht-sichtbaren Sonnenaufgang zu starren, statt in den kalten Handybildschirm. Ich rede mir ein, dass die nächsten zwei Jahre genauso vorbeigehen werden, wie die ätzend-anstrengende Wanderung auf den Fuji, jeder Tag ein kleiner Schritt. Keine Ahnung, ob da oben dann ein Sonnenaufgang ist, aber ich hoffe einfach darauf.

Ich kann die letzten Monate nicht zusammenfassen, ich kann niemanden nachfühlen lassen, wie wunderbar und anstrengend sie waren, und wie wahnsinnig weh es tut, das alles hinter mir zu lassen. Ich kann nur sagen „Gut“ und dabei lächeln. Denn das ist die Wahrheit. 


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