Diese Sache mit den verschiedenen Welten

01.07.2019

Kennt ihr diese Sache mit den verschiedenen Welten?

Man muss dafür noch nicht mal im Ausland gelebt haben - spätestens wenn man für die Ausbildung in die Nachbarstadt zieht, sich im neuen Sportverein anmeldet oder in der Mensa an einem anderen Tisch sitzt als gewöhnlich, sind dort auf einmal diese neuen Gesichter, die man vorher noch nie gesehen hat und umgekehrt. Diese Menschen wissen noch nicht wie viel Nutella ich wöchentlich esse, über welche Witze ich lache und wie ich mich in großen Gruppen verhalte. Was einerseits gruselig ist, entwickelt sich auch schnell als neue Chance. Ob bewusst oder auch unbewusst macht es mit der neuen Mensabekanntschaft auf einmal Spaß Kaffee statt Kakao zu trinken und sich so in dieser ganz neu erschaffenen Welt mit jedem Mal ein kleines bisschen neu zu entdecken und zu erweitern.

Ich genieße es, je älter ich werde und an je mehr Orte ich komme, Stück für Stück ein paar mehr solcher neuer Welten zusammenzusammeln und so immer wieder ein bisschen mehr über mich selbst zu lernen. Ohne die Schulfreunde-Welt hätte ich nie die abstrusesten Themen bis ins Detail durchdiskutiert, ohne die Norwegen-Biologen- Welt wüsste ich heute nicht wie man die besten Pfannkuchen aus containerten Bananen herstellt, ohne die Roller-Derby-Welt wäre mein Körperbild ein anderes und ohne die Zuhause-Zuhause-Welt hätte ich nicht die Werte, die mir heute wichtig sind. Und ohne die Lieblingsjapaner-Welt wäre ich jetzt nicht hier – in diesem verrückten, wunderbaren, anstrengenden, aufregenden Land.

Es lebt sich ziemlich gemütlich, in diesen separaten Welten; es macht Spaß diese bestimmte Person zu sein, die man in dieser und jener Welt nun mal ist. Doch früher oder später kracht eine Welt auf die andere, und damit trifft unweigerlich auch die Schulfreunde-Welt-Isabella auf die Norwegen-Biologen-Welt-Isabella – ein bisschen gruselig ist das anfangs schon. Finde ich zumindest. Man beginnt sich zu fragen, wie eigentlich die Lieblingsjapaner-Welt-Isabella mit der Roller-Derby-Welt-Isabella zu vereinen ist und wie wohl die dazugehörigen Menschen miteinander klarkommen werden. Im Besten Falle verläuft dieses ganze Welten-Zusammenführen natürlich mehr fließend als krachend und befördert ganz neue Möglichkeiten und Erlebnisse ans Tageslicht.

In Deutschland ist das alles ziemlich normal. Meine Roller-Derby-Welt spielt auf WG-Partys mit der Mitbewohner-Welt zusammen Ukulele und die Zuhause-Zuhause-Welt sitzt mit der Schulfreunde-Welt nach Übernachtungspartys zusammen am Sonntags-Frühstückstisch. In Japan ist das alles ein bisschen anders. Der Lieblingsjapaner hat noch nie den Verlobten seiner eigenen Schwester gesehen und ich kenne die besten Freunde des Lieblingsjapaners nur vom Vorbeigehen. Und das liegt nicht daran, dass wir so weit voneinander entfernt leben würden. In Japan gibt es dieses Welten-Ding natürlich auch – nur das Zusammentreffen der Welten wird im Alltag möglichst vermieden. Der Lieblingsjapanerbruder war einmal an zwei aufeinanderfolgenden Tagen auf dem selben Konzert. Am ersten Abend mit seinen Freunden, am zweiten Abend mit seiner festen Freundin – das ist wohl ziemlich aussagekräftig. In Japan nimmt man seinen festen Freund nicht mit zum Kaffeetrinken mit Schulfreundinnen, Arbeitskollegen treffen nicht die Familie des Angestellten und den eigenen Partner bekommt die Familie normalerweise erst kurz vor der Hochzeit vorgestellt. Das bedeutet nicht, dass man sich für die eigenen Schulfreunde schämt oder die Arbeitskollegen unzumutbar wären. Japaner schätzen für gewöhnlich einfach die Privatsphäre, die solche separat gehaltenen Welten so mit sich bringen. Das kann man als Deutscher angenehm und sonderbar finden, aber so sieht in Japan eben die Realität aus. (Dass ich die Lieblingsjapanerfamilie schon so lange kenne ist die absolute Ausnahme und hängt wohl auch mit meinem „Ausländerbonus“ zusammen.)

Umso nervöser bin ich vor jedem doch noch stattfindenden Zusammentreffen der Deutschland- und der Japan-Welt. Und davon gab es in den letzten Wochen einige. Nach dem gemeisterten Kennenlernen von Lieblingsjapanerpapa und der Freundin des Lieblingsjapanerbruders, kam auch schon gute Freundin und kurz danach noch meine Mama hier in der Japan-Welt vorbei und vereinten damit schlussendlich auch diverse Lieblingsjapanerfamilien- und Japan-Arbeits-Welten. Natürlich war glücklicherweise jegliche anfängliche Nervosität umsonst und Sprachbarrieren und Co. konnten mit gemeinsamen Onsen- und Bar-Besuchen in Lichtgeschwindigkeit aus dem Weg geräumt werden. Ein ziemlich gutes Gefühl zu wissen, dass die Japan- und Deutschland-Welt so immer weiter zusammenwächst – und das nicht nur in mir drin, sondern auch für die Menschen um mich herum. Es macht mich so stolz, der Schulfreunde-Welt die Japan-Welt-Isabella vorzustellen oder zu sehen, wie sich die Lieblingsjapanerfamilien-Welt mit Händen und Füßen problemlos der Zuhause-Welt annähert. Gut, dass dieses Weltenzusammenführen doch nicht so gruselig ist, wie anfangs gedacht. Selbst in Japan nicht.

Ich wünschte nur, sie wären nicht gar so weit räumlich getrennt, die zwei Welten, jetzt wo sie doch schon so gut zusammengekittet wurden. Das baldige wieder auffriemeln dessen, was ich endlich vereinen konnte, erscheint mir noch so unwirklich. Ich versuche nicht daran zu denken…


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